Kindermund

Kindermund

„Gestern war heute schon morgen!“
pflegte mein Töchterlein mit vier immer zu sagen.

UND

„Hintergestern lebte ich auch schon!“

UND

„Unter heute liegt die Nacht!“

UND

„Am Ende sind alle Schäfchen gezählt.“

Da dem nichts mehr hinzuzufügen war,
reichte ich ihr die Prinzenrolle und
dachte für einen Keksmoment
über die Ewigkeit nach.
Da das eine Weile dauerte,
schraubte ich die Kekshälften auseinander und
lutschte die Schokolade bis
der Abend uns grüßte
und das Heute mit dem Gestern verschwamm.
Auch das konnten wir nicht ändern.

© Friederike Hermanni, 2023

Ein Buchstabe

„Das V ist nach oben offen.“
schreibt ReGine Mai/Wangerooge

„Vertrauen
Verbindung
Verheißung
Verführung
Vergnügen
Verzückung
Verschmelzung
verschossen
Verrücktheit
Verletzlichkeit
Verständnis
Verantwortung
Verwandlung
Veredelung
vielleicht

schreibt Friederike Hermanni/Bremen


© Friederike Hermanni, 2022

August-Lese

Die Nächte werden wieder länger, die Tage kühler. Der Sommer hat kaum stattgefunden und der Herbst scheint schon ganz nah. Mein norwegischer Stern am Firmament, Karl Ove Knausgård, schreibt dazu meisterhaft:

„Die Dunkelheit im August ist die schönste aller Dunkelheiten. Sie ist nicht hell und offen wie die Dunkelheit im Juni, nicht so voller Möglichkeiten, aber auch nicht so verschlossen und abgeschottet wie die Dunkelheit im Herbst oder Winter. Das Vergangene, das Frühjahr und der Sommer, steht in der August-Dunkelheit noch immer offen, während man in das Künftige, den Herbst und den Winter, schon hineinsehen kann, und doch ist man noch kein Teil davon.“

Karl Ove Knausgård (2018): Kämpfen, btb, S. 426

In Wort und Farbe

Die Bilder meiner lieben Freundin Johanna Schott aus Braunschweig
(https://www.johanna-schott.de/kunst/) haben mich dazu inspiriert, mit ihr gemeinsam auszuloten, was die Kunstformen des Malens und des Schreibens für uns beide bedeuten. Entstanden ist ein Kunstgespräch über spontanes Entdecken, absolute Stille, Synchronizität und Formen der Schönheit. Please press the button …

Instagram

Nun werden die Tage kürzer … und so habe ich wie Leo Lionnis Feldmaus Frederick kleine filigrane Sommerimpressionen gesammelt und zwar bei friederikehermanni auf Instagram! Take a look!

LYRIKZitat

Neulich saß ich mit einer Zigarette und einem Becher Muckefuck auf meinem Balkon, die Abendsonne versöhnte mich mit dem anstrengenden Tag und auf meinem Handy entspann sich ein tröstender Dialog mit meinem Seelenbruder F. aus dem Süden.  Nach Wochen der inneren Zermürbung fühlte ich Verbundenheit, Präsenz, Klarheit, Liebe. Und in diesem Augenblick schickte mir meine Freundin B. ein Gedicht von May Sarton. Die letzten Zeilen beschreiben die Essenz dieser Minuten, mein Gefühl in den Worten einer anderen Lyrikerin. Ich bin den modernen Kommunikationswegen dankbar für diese literarische Fügung:

„Now there is time and time is young.
O, in this single hour I live
All of myself and do not move.
I, the pursued, who madly ran,
Stand still, stand still, and stop the sun!”

aus:  „Now I become myself“ von May Sarton (1912 – 1995),

Ich bin jetzt. Ich brauche nicht mehr rennen, keiner verfolgt mich, es herrscht Frieden. Alles ist gut.

ZEITlese

Corona und die Zukunft?

Arundhati Roy schreibt:

„Nichts wäre schlimmer, als wieder zur Normalität zurückzukehren. In der Geschichte haben Seuchen Menschen gezwungen, mit der Vergangenheit zu brechen und sich ihre Welt neu zu entwerfen. Das ist bei dieser Pandemie nicht anders. Sie ist ein Portal, ein Tor zwischen einer Welt und der nächsten.

Wir können uns entscheiden, hindurchzugehen und dabei die Kadaver unserer Vorurteile und unseres Hasses hinter uns herzuschleppen, unsere Habgier, unsere Datenbanken und toten Ideen, unsere toten Flüsse und verqualmten Himmel. Oder wir können leichten Schrittes hindurchgehen, mit wenig Gepäck, bereit dazu, uns eine andere Welt vorzustellen. Und bereit, für sie zu kämpfen.“

© Arundhati Roy 2020, „Durch das Tor des Schreckens“, in: DIE ZEIT, 8. April 2020, Nr. 16, S. 4-5.

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