Offene Frage

Ich war da. Ich war jetzt ganz da. Ich stand an dem Ort, an dem ich schon so oft gestanden hatte, am Rande der Stadt, vor dem Tor. Der Wind, der durch die Jahre flog, hatte mich an diesem Vormittag sanft berührt als ich meine Verrichtungen ausführte, wie ich es immer tat. Ich hatte sie genau so erledigt, wie ich sie immer erledigt hatte. Diesen Handgriff hier, jenen Handgriff dort. Ein paar Tasten gedrückt, eine Zeile verschoben, hier und da etwas justiert. Hatte am Abend die Fabrik verlassen, wie ich es an jedem Abend tue. Der Himmel war blassgrau, an den Rändern schärften sich die Kanten, brach sich das Licht.

            Auch diesmal lehnte ich mich an das Holztor, schloss die Augen und hoffte, dass es sich von alleine öffnen würde. Aber es war schwierig. Je mehr Kraft ich aufbrachte, desto widerspenstiger wurde es. Ich wusste, es würde nur aufgehen, wenn sich der Starkstrom von meiner Tätigkeit am Förderband beruhigen würde.

            Doch da, plötzlich ging das Tor auf, ich hob den Blick und befand mich im Zwischenreich, diesem großen, leeren Raum, nach oben und unten offen, am Himmel nur ein paar Laternen. Aus der Mitte, aus der großen trichterförmigen Öffnung am Boden, ragte ein metallisches Etwas in Form einer Spirale. Sie glänzte hell.

            Heute, nach all der Arbeit in der Fabrik, nach all meinen Wanderungen durch abgebrannte Dörfer und sich verzehrende Städte, durch kaiserliche Parkanlagen und traurige Gartenkolonien, nach der lebenslangen Besichtigung von Schlachtereien und Müllplätzen, Blütenmeeren und Kristallisationspunkten konnte ich dieser Spirale nicht widerstehen. Sie sog mich an sich, dockte an meinen Körper an, saugte sich dort fest, etwa in der Mitte meines Brustkorbes. Ich spürte nicht, wie ich mich auflöste, sah nur noch das phosphoreszierende Licht und kreiste als Astraldings durch die Spirale, Ring um Ring, Kreis um Kreis. Es tat nicht weh, schmerzte an keiner Stelle, jagte mir keine Angst ein.

            Obwohl ich alles wiedererkannte, die Treppenhäuser und die geblümten Röcke, diese letzten Orte, an denen ich zuhause war. An denen ich fürchtete, ich könnt endlich stürzen. Wo ich mich oft verzweifelt am Geländer festgehalten hatte, bis meine Hände krampften. Die Gebäude und Spielutensilien der Mittelzeit, als alles noch einfach war. Die Figuren, die Mitspieler auf diesem Feld, die kleinen, die großen, die Könige, die Bauern. Und schließlich das Meer der Unwissenheit, als alles noch ein Staunen war. Und ganz am Ende der Anfang, das Ende, wo mich gewaltige Explosionen durchkreuzten und alles aus einem einzigen Beben zu bestehen schien. Hier wollte ich bleiben, hier sollte die Reise stillstehen, hier wollte ich mir im Auge des Sturms ein Lager bereiten. Hier wollte ich mich fragen, was mit der Zukunft wohl geschehen würde.

© Friederike Hermanni, 2023

Veröffentlicht inProsa

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