Brandgefahr

Brandgefahr

Ein Gedanke waghalsig
und doch scheu
lagert im Regal meines Vertrauens
viele Jahre habe ich
gut auf ihn achtgegeben
habe ihn nur selten zum Flanieren
auf den Boulevard geschickt dort
weht der Wind zu stark
Er liegt neben den Spezialmomenten
und den großen Ausnahmen
wartet darauf sich im
Schatten des Sturms
herauszuwagen
In diesen Tagen
will ich
ihm eine Feuerleiter bauen

© Friederike Hermanni, 2024

Inzwischen

Inzwischen

Inzwischen sind die Tage wieder heller
Auf der anderen Seite des Flusses

länger, ausgedehnter als damals
wartest du noch immer auf mich

in diesem zurückliegenden Winter
waren meine Augen aus Pergament

als alle Lichter ausgegangen waren
sah ich nur noch die Flugrouten

die Zukunft war abgeschaltet
zwischen all den Satzbauten und Worten

es gab keine Sonnen mehr am Horizont
weder abends noch morgens

mein Gehirn ließ alle Bilder vorbeiziehen
und in meinem Raum aus Glas
wuchsen keine Bäume mehr

© Friederike Hermanni, 2024

Gelbes Haus Nr. 12

Gelbes Haus Nr. 12

Das blau getünchte Gartentor erzählt
von der Gastfreundschaft all der Jahre
von Menschen aus dem Dorf und der Fremde

Im Knirschen der Kiesel auf dem Weg
wohnen die Fußspuren unzähliger Gesichter
die hier Heimat suchten und blieben

Unter der Glocke am schmiedeeisernen Haken
haben sich Freunde seit jeher geküsst
voll Freude über das Glück

Und dann der Tisch mit den Glockenblumen
Heimat all unserer Geschichten
über Sternschnuppen und altes Gefieder

Die bunten Schüsseln an der Wand
erwecken dein Pot au Feu zum Leben
an dem wir uns satt aßen in der Kälte der Zeit

Und unter den Kissen des Plüschsofas
haben die Kinder ihre Erinnerungen versteckt

© Friederike Hermanni, 2024

1. März 2024, ein Freitag

Liebe Freund:innen: Ja, er war nicht unumstritten, doch nun ist er tot. Und doch machte der vergangene Freitag mir Mut:

1. März 2024, ein Freitag

Ihr seid aufgestanden
habt eure Angst der Nacht überlassen

Ihr zeigt dem Toten euer Gesicht
den Staat fürchtet ihr nicht

Ihr ruft seinen Namen
tragt Rosen und Nelken in euren Händen

Sie stehen euch gegenüber
lassen euch gewähren

Wir hören eure Stimmen
bezeugen euren Mut

Der Frieden ist mit euch
die Bilder gehen viral

Begrabt ihr mit ihm eure Hoffnung
oder blüht sie durch euch wieder auf?

© Friederike Hermanni, 2024

Der Augenblick

Der Augenblick

Ich habe dich zwischen den Zeitungsständern gesehen
Am anderen Ende der Stadt

Deine Augen trugen die Farben meiner Vergangenheit
Dein Haar fiel dir locker ins Gesicht

Da – die Sonne ging auf
und du tratst ein am Rande meiner Existenz

Wir berührten uns im Schatten des Lichtes
wussten um dieses seltene Gut

In deinem Gesicht verschmolzen die Geschichten meiner Zeit
Deine Arme waren wie Flügel

Ich wusste ich würde dich bald schon verlieren
und hielt deine Hände bis der Augenblick verschwand

© Friederike Hermanni, 2024

Der Stern

Der Stern

Als der Nebel in der Straße hängt
fahre ich über das Kopfsteinpflaster
die Blumen sind hier teuer
doch in ihrem Fenster hängt ein Stern
aus weiß schimmerndem Papier
in einer zarten Fassung aus Silber
sie raucht ihre Zigaretten
tatsächlich mit einer Spitze
trägt Nadelstreifen und bemalte
Lippen gerne würde ich
Hand in Hand mit ihr
eine Bar betreten um dem Piano
zu lauschen und ihr zusehen
wie sie dem Kellner zuzwinkert
als hätten ihre blassblauen Augen
schon immer gewusst
was zu tun ist

© Friederike Hermanni, 2024

Es wird langsam

Es wird langsam

A) Im Wind

Und da ist dieses Zittern in mir
wenn ich in der Luft hänge um Erbsen zu zählen
wenn da wieder dieser scharfe Schnitt kommt
und der beat lauter wird als mein Herz

Und da bewegt sich das Zittern
bricht sich Bahn wenn das Außen sich selbst torpediert
erschüttert den Raum wenn der Lärm innen drin detoniert
greift um sich wenn ein Bild sich potenziert

Und das Zittern das bleibt
wenn die Gewalt den Überblick
                                                  verliert
sich auch die Sicherheit meines Gehirns
die Synapsen frieren im Wind

B) Langsam wärmer

Und das Zittern sucht Schutz
in den Armenvierteln der Stadt
wo nichts zu holen ist bei denen
die schon lange verloren

Und das Zittern kehrt heim
spielt eine kleine Überraschungsmelodie
zieht sich selbst den roten Mantel an
dreht den Ring am kleinen Finger

Und das Zittern verliert Kraft
wenn das Bärenfell
                          wächst
der Verdacht, dass…
ach, ja, es wird langsam wärmer

© Friederike Hermanni, 2023

Ein Letztes

Für alle Mütter, Schwestern, Freund:innen, für alle Liebende dieser Erde, für alle Jungen, für alle Alten:

Ein Letztes

Es ist als wäre es
verdreht wie konnten wir uns
früher am Flug der Vögel
ausrichten wissen
wo der Norden wohin der Süden
sich öffnet

Sich schließende Fluchtrouten
über die Eukalyptusländer
Wanderungen banger Fragen
die Strecken der Graugänse werden kürzer
vereitelt wie konnten wir damals
so sicher sein

Wenn die Vögel sich am Himmel
vereinzeln – wie konnten wir
all diese Schornsteine errichten
die am Ende der falschen Richtung
nicht einfach
abgeschaltet werden können

So drehen wir uns weiter
folgen dem Kompass
dessen Nadel
die Magnetfelder nicht mehr erkennt
und wir in separaten Räumen
den weißen Tauben
ein letztes Gebet anvertrauen

© Friederike Hermanni, 2023

Solange

Solange

aus den Zitronenbäumen des Sommers gezupft
in die herbstliche Milch gerührt
auf die Holzmauern des Winters geschichtet

habe ich all die Vehikel im Höhenflug
die wiederentdeckten Seerosen
die Stromschnellen

um sie blindlings und undercover
in Gold umzuschlagen
– solange noch Zeit bleibt

© Friederike Hermanni, 2023

Vielleicht

Vielleicht

behutsam öffne ich den Deckel der verblühten Zeit
das Wasser von dem ich träumte
schwerer als Granit und Saphir
die Mondjahre die wir teilten
behüteten unsere Worte voll Blut

bald werde ich zum Spiegel der vergangenen Zeit
trage sie nachts zum Meer
wo Morgenrot uns sein Versprechen schenkt
– noch kann ich mich nicht vertäuen
doch bald – vielleicht


© Friederike Hermanni, 2023

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