Lebensgemeinschaft

Lebensgemeinschaft

verflechte mich mit deiner Langsamkeit

bin um Windjahre jünger als du
bist am Wetter gewachsen
spät kam ich zu dir

bin verwittert vergraut
zu deinem Schutz am Leben
behalte deine Schoten im Blick

verwahre deine Verästelungen
wärme dich mit Lebenshunger
damit du nicht fröstelst wenn

die Stürme dich wiegen
dafür hältst du mich
erhältst mich lässt mich

gewähren ich brauche nicht viel
du nährst mich mit Würde, Catalpa
ich trinke vom Tau deiner Haut

verflechte mich mit deiner Langsamkeit

an deine jungen Triebe
wachse ich nicht heran
zeichne dir Muster auf deine Narben

ich lebe solange du lebst
mein Baum unter der Sonne
Wann werden wir brennen?

© Friederike Hermanni, 2025

ein Anfang

beruhige mich
durch die Wiederkehr deines Rufes
noch hängt er in Verstecken des Himmels
lässt andere Gegenden glühen
doch ich weiß dass du kommst
du lässt mich nicht
allein in der Stille des Gartens
die ich den Winter hindurch
für dich aufbewahrt habe

ich locke dich zu mir

beruhige mich
dimme die Frequenz aus allem
Dagewesenen
bis die Multiversen
sich wieder auf handhabbare Größe
zusammenziehen und
mir die Gegenwart deiner Stimme
die gefilterte Zeit
zurück in die Hände legt

© Friederike Hermanni, 2025

das rezept

das rezept

ich halte es nicht mehr aus
bin um acht die erste beim doc
schütte ihm fünf minuten mein herz aus
er nickt bedächtig und tippt
mir wird digital etwas ausgestellt
die apotheke entschlüsselt den chip
logistisch kommen dinge in gang
nachmittags hole ich die schachtel ab
lege noch eine teure handcreme dazu
291 euro für 30 tabletten à 5 mg
die krankenkasse ist so freundlich
jeden tag zwei
ein kokon wächst an mir empor
ich fühle mich geschützt
andere sagen man müsse sich gegen die krankheit

entscheiden.

© Friederike Hermanni, 2025

im Regen

im Regen

noch stehen wir
wieder und wieder im Regen

haben die
Jacken gewendet
tragen das Innere nach außen

noch hängt feuchte Luft
in unseren Zimmern

noch haben wir
das Silberbesteck nicht
versetzt

und noch hältst am Ende
immer du meine Hand

für Gun

Auf dem Landweg

Nach langer Pause und nach gründlicher Generalüberholung an Körper, Geist und Seele hier euch nun ENDLICH wieder ein Text von mir. Im Anhang der Versuch, das Vokabular auch für die Urgroßmütter der Großfamilie verständlich zu machen.

Auf dem Landweg

Etwas
das bleibt
durch die Streichinstrumente
und die Luft des frühen Gezwitschers
dringt es direkt zum Herzen vor

Du fragst
Ach, was ist schon ein Herz?
Eine Schwungpumpe
um Stoffe zu transportieren
auf dass die Zellen nicht sterben

Und so tragen mir
die Hände der alten Engel
deine Spielfiguren zu
während das Radio
auf drei Kanälen gleichzeitig sendet

Threads untermalt
vom Göttergesang falscher Töne
Nachrichten die versiegen
dazwischen deine Herz-Emojis
bis ich nur noch auf dem Landweg

zu erreichen bin

© Friederike Hermanni, 2024

Laut Microsoft Bing ist ein Thread eine Sammlung zusammenhängender Posts – also der Meinungen einzelner User. Ein Post ist laut dieser Quelle mit einer Nachricht auf einem Notizzettel vergleichbar. Ein User ist in diesem Falle ein einfacher Internetbenutzer. Microsoft Bing  ist eine Suchmaschine.

Emojis sind laut Bing kleine Symbole wie Smileys, Alltagsobjekte oder Flaggen, die der Kommunikation im Internet und auf mobilen Endgeräten dienen. Smileys sind kleine gelbe Gesichtchen.

Unter leiser Sonne

Wer mag, höre „The Tree“ von Ludovico Einaudi zu diesem Text:

Unter leiser Sonne

ein Nebeneinandersein
unter leiser Sonne
ein Licht
in dessen Obhut wir
nichts als grüne Luft
einatmen
am Moos der Kiefern
orten wir unsere
Existenz verbinden
all das Offene
mit dem sandigen Boden
vermessen den Tau der Buchen
finden Schmetterlingsblütler
du erklärst mir das rote
Schichtgestein
der 4,5 Milliarden
alten Erde die
unsere Schritte aufnimmt
als sollte es nie
anders gewesen sein

© Friederike Hermanni, 2024

Brandgefahr

Brandgefahr

Ein Gedanke waghalsig
und doch scheu
lagert im Regal meines Vertrauens
viele Jahre habe ich
gut auf ihn achtgegeben
habe ihn nur selten zum Flanieren
auf den Boulevard geschickt dort
weht der Wind zu stark
Er liegt neben den Spezialmomenten
und den großen Ausnahmen
wartet darauf sich im
Schatten des Sturms
herauszuwagen
In diesen Tagen
will ich
ihm eine Feuerleiter bauen

© Friederike Hermanni, 2024

Inzwischen

Inzwischen

Inzwischen sind die Tage wieder heller
Auf der anderen Seite des Flusses

länger, ausgedehnter als damals
wartest du noch immer auf mich

in diesem zurückliegenden Winter
waren meine Augen aus Pergament

als alle Lichter ausgegangen waren
sah ich nur noch die Flugrouten

die Zukunft war abgeschaltet
zwischen all den Satzbauten und Worten

es gab keine Sonnen mehr am Horizont
weder abends noch morgens

mein Gehirn ließ alle Bilder vorbeiziehen
und in meinem Raum aus Glas
wuchsen keine Bäume mehr

© Friederike Hermanni, 2024

Der Augenblick

Der Augenblick

Ich habe dich zwischen den Zeitungsständern gesehen
Am anderen Ende der Stadt

Deine Augen trugen die Farben meiner Vergangenheit
Dein Haar fiel dir locker ins Gesicht

Da – die Sonne ging auf
und du tratst ein am Rande meiner Existenz

Wir berührten uns im Schatten des Lichtes
wussten um dieses seltene Gut

In deinem Gesicht verschmolzen die Geschichten meiner Zeit
Deine Arme waren wie Flügel

Ich wusste ich würde dich bald schon verlieren
und hielt deine Hände bis der Augenblick verschwand

© Friederike Hermanni, 2024

Es wird langsam

Es wird langsam

A) Im Wind

Und da ist dieses Zittern in mir
wenn ich in der Luft hänge um Erbsen zu zählen
wenn da wieder dieser scharfe Schnitt kommt
und der beat lauter wird als mein Herz

Und da bewegt sich das Zittern
bricht sich Bahn wenn das Außen sich selbst torpediert
erschüttert den Raum wenn der Lärm innen drin detoniert
greift um sich wenn ein Bild sich potenziert

Und das Zittern das bleibt
wenn die Gewalt den Überblick
                                                  verliert
sich auch die Sicherheit meines Gehirns
die Synapsen frieren im Wind

B) Langsam wärmer

Und das Zittern sucht Schutz
in den Armenvierteln der Stadt
wo nichts zu holen ist bei denen
die schon lange verloren

Und das Zittern kehrt heim
spielt eine kleine Überraschungsmelodie
zieht sich selbst den roten Mantel an
dreht den Ring am kleinen Finger

Und das Zittern verliert Kraft
wenn das Bärenfell
                          wächst
der Verdacht, dass…
ach, ja, es wird langsam wärmer

© Friederike Hermanni, 2023

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