Der blaue Raum

Alles ausblenden. Alles, was laut ist. Was mich im Außen anstrengt. Was mich von dort bedrängt. Was den Sicherheitsabstand nicht einhält. Was mir unter die Haut will. All diese Geschichten von jungen Männern und Frauen, die ständig von diesen Extremzuständen erzählen und alles wegen Vodka Lime. Denen der dritte Weltkrieg nichts ausmacht. Es komme, wie es komme, da könne man nichts machen. All das draußen lassen. Es kann meine Grenze nicht passieren. Ein hoher Lattenzaun hält diese Dinge von mir fern. Hält die Menschen von mir ab, die bei veganem Curry mit strahlenden Gesichtern ihre Podcasts füttern.

Alles bleibt draußen. In gebührendem Abstand. Drinnen bleibe ich. Um mich herum ist viel Blau. Umgibt mich mit dieser Stille, die so zart ist wie das Luftpostpapier von früher. Die nur leise knistert, wenn ich sie berühre. Die da ist, die keine Angst hat vor dem Sturm. Die meine Schreie beruhigt und meine offene Landschaft streichelt. Die sanft das Scheppern des Metalls zum Schweigen bringt.

Dieses Blau hat die Farbe von Taubengefieder. Schimmert so unaufdringlich wie die Köpfe dieser Hinterhoftierchen, wenn sie die Reste meiner Eiswaffel aufpicken mit ihren aufmerksamen Schnäbeln. Ein Blau, das ohne Zwischenfragen Wiegenlieder summt. Das nahtlos in den Gewitterhimmel übergeht. Ein Blau, in das ich flüchten kann, wenn mich die offenen Fragen anfechten. Ein Blau, das nur noch die Gesänge gelten lässt, zu denen die Schwäne auf glatten Wassern den Frieden inszenieren. Ein Blau, das mich warme Hände spüren lässt, wie sie meine Zweifel mit Nachdruck umfassen und sie an die frische Luft setzen. Dieses Blau kleidet den Raum aus, in dem ich endlich in den Schlaf finde, wenn der Tobak zu stark war oder mich Bilder verstören, ohne um Erlaubnis gefragt zu haben.

Der blaue Raum taucht auf, sobald ich die belebten Pfade verlasse, wo sich Projektionen und Erwartungen im Wege stehen. Er ist überzeugender als das Flüstern des Größenwahns und schöner als der ganze Rummel. Der blaue Raum fängt mich auf wie ein See. In den ich mich von der verborgenen Weide fallen lasse, die ihre Äste weit über das Wasser streckt. Der blaue Raum ist der Ort, wo die Felder die Wolken berühren, wo meine Tränen zum Strom werden, der mich ans Ufer spült. Er wurde mir geschenkt als es auf die Zukunft noch nicht ankam. Und ich darf ihn bewohnen.

© Friederike Hermanni, 2022

Veröffentlicht inProsa

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